Warum “Try Fail Learn Repeat”?
2018 habe ich mich entschieden, meinen Blog „Try Fail Learn Repeat“ zu nennen. Damals war die Verwendung von Begriffen wie „F***-up Nights“, „Fail fast“ und ähnlicher Begriffe noch weitestgehend auf die Startup-Szene beschränkt und fanden nur langsam Einzug in die restliche Unternehmenswelt. Sie entsprachen jedoch der Fehlerkultur, die durch das 2011 erschienene Buch The Lean Startup von Eric Ries geprägt wurde (1) – einem Werk, das einen enormen Einfluss auf mich und viele andere Gründer hatte. Auch heute, nach sechs Jahren, bin ich ein großer Befürworter der Ideen in diesem Buch. Doch gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass sich einige dieser ursprünglich wertvollen Ansätze in der Praxis verzerrt haben.
Ich habe den Eindruck, dass Formate wie die „F***-up Nights“ mittlerweile mehr zu einer Show verkommen sind – einer Plattform, auf der Misserfolge fast gefeiert werden, ohne dass daraus echter Fortschritt oder tiefes Lernen resultiert. Daher ist es ein guter Zeitpunkt, sich erneut mit der Botschaft von „Try Fail Learn Repeat“ zu befassen und klarzustellen, was ich damit wirklich meine – und vor allem, was nicht.
Aufgerüttelt dazu hat mich auch ein sehr lesenswerter Artikel von Anders Indset (2) in Gründerszene, der meine volle Zustimmung findet: “Gründe kein Startup, gründe ein Unternehmen”, schreibt der Investor und Wirtschaftsphilosoph.
Was bedeutet „Try Fail Learn Repeat“ für mich?
Der Name „Try Fail Learn Repeat“ hat für mich eine ganz bestimmte Bedeutung, die sich in erster Linie auf das erste Wort, “Try”, bezieht: Es geht darum, sich Dinge zu trauen, Dinge auszuprobieren. “Learn” ist das zweitwichtigste Wort im Namen - Na klar, aus jedem Versuch sollte man bestmöglichst lernen, sowohl im Falle des Erfolges als auch im Falle eines Misserfolgs. Dann ist es wichtig, Dinge zu wiederholen - sich im Falle eines Misserfolgs wieder aufzuraffen und weiterzumachen und im Falle eines Erfolges versuchen, daran anzuknüpfen.
Der Fehler, der Misserfolg, ist dabei eigentlich eine Begleiterscheinung, die eintreten kann, aber nicht eintreten muss. Und selbstverständlich braucht man dafür eine positive Fehlerkultur - gegenüber sich selbst, gegenüber seinen Freunden und seiner Familie. Und selbstverständlich braucht es eine gute Fehlerkultur im Unternehmen.
Was TFLR nicht bedeutet
Um zu erklären, was “Try Fail Learn Repeat” ist es einfacher zunächst klarzustellen, was „Try Fail Learn Repeat“ nicht heißen soll:
- „Try fast and for the sake of trying“: Es geht nicht darum, blindlings Dinge auszuprobieren, nur um des Versuchs willen. Natürlich ermutige ich dazu, Neues zu wagen – aber immer mit Vorbereitung, einer klaren Strategie und einem Ziel vor Augen. Das „Versuchen“ sollte einen echten Zweck haben.
- „Fail fast, fail proudly and use it for marketing“: Ich beobachte zunehmend, wie der Misserfolg öffentlichkeitswirksam inszeniert wird. Dabei scheint es manchmal mehr um die Aufmerksamkeit zu gehen, als um die Erkenntnisse aus den Fehlern. Scheitern sollte meiner Meinung zunächst mit Bescheidenheit und innerer Reflexion einhergehen – nicht als Marketingstrategie.
- „Learn to evade accountability“: Leider wird das Eingeständnis, aus einem Fehler gelernt zu haben, manchmal als Mittel benutzt, um sich in Wirklichkeit der Verantwortung zu entziehen. Das Gegenteil sollte der Fall sein: Das Eingestehen von Fehlern bedeutet auch, dass man sich seiner Verantwortung stellt und sogar - je nach Schwere des Fehlers - in Erwägung zieht, von seinem Amt zurückzutreten.
- „Repeat making the same stupid mistakes again“: Die Wiederholung von Fehlern ist der Inbegriff von Stillstand. Es geht nicht darum, immer wieder die gleichen Fehler zu machen, sondern aus jedem Misserfolg neue Lektionen zu ziehen und sie sofort umzusetzen.
Was TFLR wirklich bedeutet
Mein Ansatz zu „Try Fail Learn Repeat“ ist folgender:
- „Try after careful preparation“: Der Versuch sollte durchdacht und gezielt sein. Ich befürworte einen schlanken Ansatz, bei dem Ressourcen gezielt und effizient eingesetzt werden. Man sollte hart daran arbeiten, den Erfolg zu erreichen, aber nicht um jeden Preis.
- „Fail nobly and humbly“: Jeder scheitert irgendwann. Der Unterschied liegt darin, wie man mit dem Scheitern umgeht. Demütig aus Fehlern zu lernen ist weit wertvoller, als lautstark damit zu prahlen.
- „Learn thoroughly and implement the learnings“: Lernen sollte intensiv und gründlich sein, und die Erkenntnisse müssen so schnell wie möglich in die Praxis umgesetzt werden. Nur so kann echter Fortschritt entstehen.
- „Repeat, but with caution“: Wiederholungen sind unvermeidlich, aber es ist entscheidend, dabei nicht dieselben Fehler zu begehen. Jeder neue Zyklus sollte auf den gewonnenen Erkenntnissen der vorherigen basieren.
Ein guter vs. ein schlechter TFLR-Zyklus
Ein gesunder „Try Fail Learn Repeat“-Zyklus sieht nur von oben betrachtet wie ein Kreislauf aus – wenn man aber von der Seite auf den Zyklus schaut, ist es eine Spirale, die sich nach oben bewegt. Jeder Zyklus bringt ein Unternehmen, ein Produkt oder dich selbst auf eine höhere Ebene, mit neuen Erkenntnissen und besserem Verständnis.
Ein schlechter Zyklus hingegen sieht von oben ebenfalls wie ein Kreislauf aus – doch in Wirklichkeit dreht man sich im Kreis und das Unternehmen kommt nicht voran. Wenn Fehler nicht ehrlich analysiert und verstanden werden, führt das zu einem Teufelskreis.
Wie schnell sollte ein TFLR-Zyklus sein?
Das Konzept „fail fast“ wird oft missverstanden. Es geht nicht darum, schnell aufzugeben, wenn Hindernisse auftauchen. Natürlich sollte man nicht stur versuchen, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, aber ich bin der Meinung, dass man auch nicht sofort den Rückzug antreten sollte, wenn Schwierigkeiten auftreten.
Stattdessen plädiere ich für einen Ansatz, den man auch „fail cheaply“ nennt – also Fehler machen, aber ohne hohe Kosten zu riskieren. Im Kern bedeutet dies, dass man sich in Experimenten auf kleine, kostengünstige Schritte konzentrieren sollte. Anstatt sich in großen, teuren Misserfolgen zu verlieren, hat man so nur das Risiko von kleinen Fehltritten. Denn je höher die Investition, desto weniger will man sich eingestehen, dass man einen Fehler gemacht hat. Besonders im Finanzbereich wird dies oft die „Sunk Cost Fallacy“ (3) zitiert: Je mehr in ein Projekt investiert wurde, desto schwerer fällt es, die Investition aufzugeben, selbst wenn sich das Projekt als Fehlschlag entpuppt.
Große Experimente und großes “Failen” hat einen weiteren Nachteil: Sie fordern größeres Nachsteuern – das, was in der Startup-Welt als „Pivoting“ bezeichnet wird. Pivoting gilt zwar in der Startup-Welt als Zeichen von Flexibilität, kann aber zu einem Schlingerkurs führen. Projekte werden einfach nicht tief genug durchdacht, im Sinne von “Wenn es nicht passt, dann pivoten wir eben.” Neben dem Kosten- und Zeitaufwand entstehen Unsicherheit bei Stakeholdern und dem Team. Es besteht die Gefahr, dass sich oberflächliche Projekte aneinanderreihen, anstatt mit Bedacht auf ein übergeordnetes Ziel hinzuarbeiten.
Daher: Lieber kleine Versuche und kleine Fehlschläge. Im Grunde genommen sind die Fehler in einer guten Fehlerkultur so klein, dass sie keinem Auftritt auf einer “Fuck-up Night” würdig wären.
Kulturelle Unterschiede in der Fehlerkultur
Die deutsche Fehlerkultur ist verbesserungswürdig, keine Frage. Einer aktuellen Studie zur Folge geben 55% der befragten Erwachsenen unter 25 Jahren an, dass sich die Fehlerkultur in unserer Gesellschaft verändert habe und Fehler gesellschaftlich mehr akzeptiert werden. Unter den über 55-Jährigen sind es nur noch 34%. Interessanterweise tun sich die unter 25-jährigen auch schwerer damit, Fehler vor anderen zuzugeben (52%) - die über 55-Jährigen tun sich damit deutlich leichter (31% geben an, Fehler vor anderen nur schwer zugeben zu können) (4). In Kürze: Anscheinend wird bei jungen Menschen eine verbesserte Fehlerkultur wahrgenommen, aber die Umsetzung ist schwierig.
Nun aber anzunehmen, dass wir nur eine Fehlerkultur wie in den USA brauchen, um all unsere Probleme zu lösen, ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss.
In den USA ist mehr Kapital, mehr “Spielgeld” vorhanden, was es einfacher macht, selbst große Fehler zu machen, schnell wieder gutzumachen. Dieses Vorhandensein von Kapital ermöglicht es Unternehmen einfacher, riskante Projekte zu verfolgen und im Zweifelsfall schnell wieder aufzugeben und Fehler zu verkraften.
In Deutschland und Europa hingegen sind die Verhältnisse anders. Hier ist weniger Kapital verfügbar, und ein einziger großer Fehler kann nicht nur das Scheitern, sondern möglicherweise das Ende einer Idee bedeuten. Das heißt, Fehler müssen vorsichtiger gemacht werden. Das hat auch einen Vorteil: Bewusst wahrgenommen, kann dieser Umstand zu guter Planung und Qualität führen und langfristig zu hoher Kapitaleffizienz führen - ein Vorteil an deutschen und europäischen Startups, der auch von US-amerikanischen Investoren gesehen wird.
Fazit
Für mich ist „Try Fail Learn Repeat“ kein Aufruf, Fehler zu feiern. Es geht darum, bewusst und reflektiert zu handeln – nicht laut, sondern leise und mit dem Ziel, wirklich etwas zu lernen.
Beharrlichkeit und Geduld sind oft Schlüssel zum Erfolg, gerade wenn das Ziel Qualität und langfristige Nachhaltigkeit ist. Hohe Investitionen kombiniert mit (zu) schnellen Pivots dagegen können auch verstören, eine Kultur der Oberflächlichkeit fördern und ineffizient Kapital verbrennen.
Schlussendlich sollte man auch immer den kulturellen und wirtschaftlichen Kontext betrachten. Bei aller Liebe zur persönlichen und unternehmerischen Fehlerkultur: Nur weil im Silicon Valley Fehler zum guten Ton gehören, müssen nicht alle deutschen Gründer auf “Fuck-up nights” ihre wertvolle Zeit verschwenden. Nutzt diese Zeit lieber, um noch tiefer zu lernen!
Referenzen
- Ries, E. The Lean Startup: How Today’s Entrepreneurs Use Continuous Innovation to Create Radically Successful Businesses. (Currency, New York, 2017).
- Indset, A. Warum ihr kein Startup gründen solltet. Business Insider https://www.businessinsider.de/gruenderszene/perspektive/hoert-auf-fehler-abzufeiern-wir-brauchen-wieder-mehr-leistung/ (2024).
- Confirmation bias. Wikipedia (2024).
- Behrens, D. AXA Studie zur Fehlerkultur auf der Arbeit. AXA Deutschland https://www.axa.de/presse/axa-studie-fehlerkultur-im-job (2024).